DIE MAYA

Die Maya sind heute die größte Gruppe im an indigenen Völkern reichen Mexiko und stellen zum Beispiel im Bundesstaat Yukatan mit 59,2 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung, laut einer Statistik des Consejo Nacional de Población CONAPO und des UNDP von 2002.

„Die Maya? Sind die nicht schon tot?“, so der Kommentar eines deutschen Touristen. Keineswegs. Den imposanten Stätten ihrer Vorfahren wird zwar gemeinhin mehr Aufmerksamkeit zuteil, aber die Maya sind durchaus lebendig, wenn auch immer noch unterdrückt, wie man im folgenden Video sehen kann:

ALLE MENSCHEN KÖNNEN MAYA SEIN

„U tia’al ku u’uykubáa maaya juntúul máak,
ma‘ k’a’ana’an u k’i’ik’el u boonil u yoot’el,
mix u t’olo’ob ti‘ u yich:
chéen yéetel u musiik‘ yaan.“

„Um ein Maya zu sein, braucht ein Mensch
weder das Blut, noch die Farbe der Haut,
noch die Züge des Gesichts:
es zählt allein sein Geist.“

Javier A. Gómez Navarrete
Universität Chetumal, Mexiko
Dezember 2005

Die Maya-Kosmovision ist universal. Die Maya selbst sagen, dass Maya sein ein Bewusstseinszustand ist, keine Frage der Rasse. Die Maya-Experten Barbara Pfeiler und Andreas Koechert von der Autonomen Universität von Yukatan in Mérida übersetzen das Wort „Maya“ folgendermaßen:

„Eine Person, welche Gegenstände mit übernatürlichen Fähigkeiten zu handhaben verstand.“

Das kann jeder Mensch, denn „Gegenstände mit übernatürlichen Fähigkeiten“ sind seine mehr oder weniger unsichtbaren Gedankenformen und Träume, die er dann in die physische Realität bringt. Und das ist wiederum ganz natürlich. Was man denkt, nimmt früher oder später materielle Form an. Wenn man das versteht und seine Gedanken kontrolliert, kann man genau das verwirklichen, was man sich wünscht. 

Die Maya kennen die Begrüßungsformel:

„In láak’ech“

Das bedeutet „Ich bin ein anderes du“. Diese Formel vermittelt das Gefühl der Einheit, dass die Maya mit allen Lebewesen empfinden. Dieses Gefühl sorgt dafür, dass die eigenen Wünsche in Übereinstimmung mit den Wünschen aller anderen Lebewesen sind.

Der Name der Maya für den höchsten „Gott“, ist „Hunab K’u“, was bedeutet: „Einzige Quelle“. Der Maya-Kosmovision liegt eine tiefe Kenntnis des Mensch-Seins zu Grunde. Die Alten Maya waren sich sehr bewusst, dass wir unsere gesamte Wirklichkeit durch unsere Gedanken erschaffen, deshalb fühlten sie sich auch für Dinge wie Regen und Wind zuständig und kommunizierten mit diesen Naturkräften. Die Menschen heute erfahren das Wetter als etwas Äußerliches und haben das Gefühl dafür verloren, dass sie selbst – kollektiv – sogar das Wetter erschaffen. Naturkatastrophen haben ihre Wurzel in der mentalen Verwirrung und Unkenntnis über diese universalen Zusammenhänge und Gesetze. 

Der Einzelne kennt und erkennt seine Verantwortung für die Gesamtheit nicht mehr und kann sie daher nicht übernehmen. In dieser Gesamtheit hat jeder seine eigene, individuelle Aufgabe. Die Maya versuchen, schon bei der Geburt eines Kindes dessen Lebensaufgabe zu erkennen und dessen Weg zu unterstützen.

Maya-Mädchen in Macario bei Tulum
Ein Maya-Mädchen in einem Dorf nahe der Karibikküste der Halbinsel Yukatan (Foto: Silke Grasreiner). 

Wer seine Lebensaufgabe nicht kennt, sucht verzweifelt nach dem „Sinn seines Lebens“. Auf der Suche ist der Mensch anfällig für Versuchungen, die leicht zur Gewohnheit, zur Sucht, werden können. Die Suche führt ihn auf Abwege, die sieben „Todsünden“: Neid, Gier, Geiz, Hochmut, Trägheit, Wollust und Zorn. Allesamt Abweichungen von der Harmonie oder dem Goldenen Mittelweg oder der inneren Balance, die sich natürlich einstellt, wenn die Suche aufhört, wenn der Mensch seine Lebensaufgabe erkennt und erfüllt.

Die Maya fragen deshalb:

„Bix a béel?“

Das bedeutet „Wie ist dein Weg?“ Im besten Fall ist er gerade. 

Gesellschaftlich schwankt die Interpretation der Kultur der Alten Maya zwischen friedlich und kriegerisch. Europäische Wissenschaftler interpretieren die Geschichte der Maya und ihre Mythologie als Kriege verfeindeter Dynastien und als blutige Opferrituale. Kann es sein, dass sie sich dabei in den Erinnerungen ihrer eigenen europäischen Geschichte verirren, gespeichert und unerlöst als genetische Information im Zellgedächtnis? Wie sind die Schilderungen der spanischen Konquistadoren und Missionare zu bewerten, die von Wissenschaftlern als Dokumente für das Verständnis der Maya-Kultur herangezogen werden? Liegt es nicht nahe, dass ein skrupelloser Mörder, der wehrlose Indios abschlachtet oder bei dem Gemetzel zusieht, seinerseits die Maya für blutige Menschenopferer hält, um sein Handeln zu rechtfertigen? Eine der wenigen realen Schilderungen der Konquista stammt von dem Dominikaner-Bischof Bartolomé de las Casas:

„Sie drangen in die Dörfer ein, sie ließen weder Kinder noch Greise, noch Schwangere oder Wöchnerinnen zurück, denen sie nicht die Leiber aufschlitzten und sie in Stücke hieben, als ob sie eine in Pferchen eingesperrte Herde Schafe überfielen. Sie schlossen Wetten darüber ab, wer von ihnen mit einem Hieb den Körper eines Menschen über dem Gürtel aufschlitzen, ihm den Kopf auf einmal abschlagen oder ihm die Eingeweide aufreißen könnte. […]

Gewöhnlich brachten sie die Herren und Edlen auf folgende Weise um: auf Gabeln errichteten sie auf Stangen Roste, auf denen sie die Indios festbanden, und entfachten darunter ein sanftes Feuer, bis ihre Opfer unter dem Wehgeschrei dieser Qualen langsam ihre Seelen aushauchten. […]

Da verstanden die Indios, dass jene Männer nicht vom Himmel gekommen sein konnten.“

Bartolomé de las Casas: „Die Vernichtung der Indios“

Über die nativen Maya im „Königreich Yukatan“, wie er es selbst nennt, schrieb de las Casas: 

„Die Leute dort zeichneten sich unter allen Indios aus durch ihre Klugheit und Freundlichkeit sowie durch das Fehlen von Lastern und Sünden.“

Wie ist der Unterschied zwischen diesen friedlichen Leuten und den gewaltsamen Szenen auf einigen Maya-Relikten zu erklären? Die Archäologen, die die Stätten von Copán, Dos Pilas, Caracol und Tikal erforscht haben, glauben, dass das Volk der Maya unter den Machtgelüsten seiner eigenen Könige litt und, als diese fielen, befreit war.

Replik Wandbild aus Bonampak, Museum Mexiko-Stadt
Replik einer Wandmalerei aus Bonampak, Museum für Anthropologie, Mexiko-Stadt (Foto: Silke Grasreiner). 

Andere sagen, dass es gar keine Könige gab, sondern nur Räteregierungen und Konföderationen. Vielleicht waren die Darstellungen nur symbolisch für die Kämpfe, die man innerlich auf spiritueller Ebene ausfechtet. Sicher ist: Die bekannten mythologischen Darstellungen der Alten Maya und ihre Bauwerke enthalten Botschaften über die Universalgesetze und ihre Anwendung und stehen allen zur Verfügung, die sie zu lesen verstehen. 

Kukulkan-Pyramide in Chichen Itza
Die Kukulkan-Pyramide von Chichén Itzá, Yukatan (Foto: Silke Grasreiner).

Das alte Wissen lebt fort in unverfälschten Traditionen, Legenden und Erzählungen der Maya, in ihren wenigen erhaltenen Büchern, ihren Schöpfungsmythen und Prophezeiungen. Der Maya-Kalender der Langen Zählung endet am 21. Dezember 2012. Was wird das Ende der Zeit bringen? Hat sie überhaupt jemals wirklich existiert?

Die Maya kennen kein Wort für Zeit an sich. Es gibt nur Wörter für abgeschlossene Zeitabschnitte, wie Tag, 20-Tages-Rhythmen und andere. Jeder hat das Gefühl der Zeitlosigkeit schon selbst erlebt: wenn man verliebt ist oder wenn man sich mit einer faszinierenden Sache beschäftigt. Dann bleibt die Zeit stehen, sie existiert nicht, denn sie ist unbedeutend. Die Alten Maya, scheinbar so besessen von Zeit, waren in Wahrheit zeitlos und „dauerverliebt“ – in das Leben selbst.

Maya-Frau beim Abstieg vom Templo III in Tikal
Maya-Frau in traditioneller Kleidung und mit modernen Accessoires auf dem Templo III in Tikal, Guatemala (Foto: Silke Grasreiner).
Maya-Schamane bei Zeremonie in Tikal
Maya-Schamane bei einem Ritual zu Ehren des Maisgottes auf dem Hauptplatz zwischen den beiden großen Pyramiden von Tikal, Guatemala (Foto: Silke Grasreiner).